Kult 1987 1 Web
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Serra de Monchique ’87

Ronald Gaube sitzt in seiner Kultstätte in den Bergen der Algarve Portugals und überlegt, wie er sein fertiges Werk für die Nachwelt erhalten kann. Vereinzelt haben Einheimische bereits durchblicken lassen, dass das Objekt nach der Abreise Gaubes nicht sehr lange erhalten bleiben würde. Ein paar Höhenmeter tiefer sitzt Peter Hölscher im Schatten eines Feigenbaums an seiner Spurensuche, einer Serie von 108 Holzschnitten von vorgefundenen Objekten der Gegend, unsanft bearbeitet, direkt in ein Skizzenbuch gedruckt. 1 Woche haben beide Zeit, ihr Werk zu vollenden. So lange dauert die Exkursion der Klasse für freie Malerei der Fachhochschule für Design in Düsseldorf. 1 Woche haben die beiden keine Zeit sich kennen zu lernen – es geschieht erst am letzten Tag, als Gaube Hölscher fragt, ob er nicht seine Kultstätte fotografieren könne.

Dank Paul

Seit genau diesem Tag, dem 28. Mai 1987 arbeiten Ronald Gaube und Peter Hölscher zusammen. Noch in Portugal, aber schon auf der Busreise zurück nach Düsseldorf, gründen sie die Aktionsgruppe »Paul O’Brigado«, zu der noch weitere Mitreisende stoßen, um im Folgenden einige Aktionen in und um die Fachhochschule durchzuführen. Ein gutes Jahr lang verschicken die Mitstreiter der Gruppe untereinander eine Menge Briefe und Karten jeglicher Größe und Ausführung, darunter angefangene Opern, Romane, Ultrakurzgeschichten, Bedienungsanleitungen für Kunst, vor allem aber reichlich Manifeste, die der Kunst ans Leder wollen. Der Artletter ist geboren.

Schwerwiegende Imagekampagne

Mit den Examen von Gaube und Hölscher fällt Paul O’Brigado in Tiefschlaf. Doch kurz zuvor gründen die beiden die Künstlergruppe »Schwerkraft« in einer ehemaligen Terrazzo-Manufaktur am Straußenkreuz in Düsselorf Eller. Hier konstruieren sie aus vorgefundenen Materialien – vorzugsweise Alteisen – Möbelobjekte, die man nicht besitzen kann. In seiner Diplomarbeit entwirft Hölscher das Corporate Design für eine Düsseldorfer Druckerei, malt auch gleich deren Firmenbild, das immer noch im Foyer des Unternehmens hängt. Gaubes Diplomarbeit ist Corporate-Design und -Identity von Schwerkraft. Herzstück der Arbeit ist die Imagebroschüre, ein Stapel Fotoplatten von Schwerkraft-Objekten, gedruckt auf Melitta-Kaffeefilterpapier, aufgezogen auf Karton, 30 × 30 Zentimeter. Gebunden zwischen zwei Kanaldeckeln und gehalten von zwei rostigen Blattfedern gehen Gaube und Hölscher auf Akquise-Tour in Düsseldorfer Design-Läden und besuchen Redaktionen von Kunst- und Architektur-Magazinen.

Nach uns der Abriss

Mit dem Abriss des Elleraner Ateliers verschwinden auch Hölschers großformatige Ölmalereien, eine Spur, die er nur sehr kurz verfolgt und nie wieder aufnehmen soll.
Sie beziehen mit weiteren Künstlern die »Villa« in Düsseldorf Benrath, ein ehemaliges Ledigenheim für Arbeiter einer Fabrik für Installations-Bedarf. Hier legen sie den Grundstein – in Form eines tonnenschweren Findlings vom Rhein – für großformatige Objekte, mit denen sie bisweilen ihre Ausstellungen in Spektakel verwandeln. Ein Käfig auf LKW-Federn z.B. dient als Bühne für die Vernissagen-Band (von ihr wird noch die Rede sein), Besucher werden durch stockdunkle Labyrinthe gejagt, kugelsichere Faltmöbel aus 3-Millimeter-Stahlblech sorgen für Ratlosigkeit. Schon bald muss auch die Villa wegen Einsturzgefahr abgerissen werden.

Nach Gutsherren Art

Sie ziehen weiter in den »Schweinestall« des Schlosshofs Garath, den sie vollständig entkernen und auf den befreiten 500 Quadratmetern eine große Werkstatt mit riesigem Materiallager und Showroom einrichten. Sie arbeiten weiter an ihren Objekten, inszenieren Raum-Installationen und veranstalten Konzerte und Ausstellungen. 16 Jahre bleiben sie dort und machen den Schweinestall zum ersten Kulturposten hinter den Stadttoren des südlichen Düsseldorfs, wie im Künstlerjahrbuch des Kulturamts dieses Jahres zu lesen steht.

Vom Schrottplatz auf die Platine

Während dieser Zeit fliegt Gaube aus der Kurve. Der geliehene Volvo-Kombi samt Hänger, vollgeladen mit eisernem Rohmaterial, geht im verschneiten Bergischen Land durch die Leitplanke und ist nicht mehr von seinem Inhalt zu unterscheiden. Gaube selbst bleibt unversehrt, sein Konto indes nicht. Er beschreitet den Weg des professionellen Broterwerbs als Designer. Seine Tätigkeiten für Grey, DDB Needham, BMZ und anderen Agenturen sind überraschend einträglich und erschließen Gaube eine gigantische neue Werkstatt, ein riesiges Materiallager und eine unbegrenzte Anzahl an Werkzeugen: Den Macintosh Quadra mit 8 MB! RAM.
Auch Hölscher hat zu der Zeit seinen Werkzeugsatz um digitales Gerät ergänzt, u.a. durch einen 286er IBM-Kompatiblen (512KB RAM). 1999 gründen sie das Designbüro »Umbra« in Düsseldorf. Zunächst auf Webdesign eingeschossen, besinnen sie sich bald ihrer Wurzeln und arbeiten an der Erweiterung des Corporate Design-Begriffs.

Parallel arbeiten sie weiter an eigenen künstlerischen Projekten.

Klangfarben – Farbklänge

Hölscher entwickelt in zwei aufeinanderfolgenden Wintern seine »Trophäen«: Holzskulpturen, die er mit dem Feuer in einem selbstgebauten Allesbrenner modelliert. Bewehrt mit Metallen aus den Lagern des Schlosshofs, konkurrieren einige von ihnen mit Geweihen und anderen Schädelfragmenten an der Wand des höflichen Jagdzimmers. Die Zusammenarbeit mit dem Gelsenkirchener Lüriker Jürgen Schimanek, Fegefeuer Press, läuft kurz, aber ausgezeichnet. Für »Wo bisse – Liebesgedichte aussem Schacht«, einer bedruckten Butterbrotdose mit Kumpel-Gedichten auf Butterbrotpapier, erhalten die beiden einen der ersten Preise des Design Zentrums Nordrhein Westfalen (heute Red Dot Design Award). »Ben und seine Freunde im Konzert« ist ein ständig wachsendes Ensemle von Klangskulpturen, die Hölscher bis heute baut – plus deren Spielern. Gemeinsam gehen sie auf Konzert-Touren oder warten in Ausstellungen auf interessierte Besucher. Bald beginnt er die Klänge der Skulpturen zu fotografieren, die fortan die Ausstellungen bereichern. In einem Work-in-progress-Projekt auf der Gyumri-Biennale in Armenien entwickelt er aus Klangbildern, die er in dem vom Erdbeben zerstörten KGB-Hauptquartier aufgenommen hat, das »Liquid Image«, eine Folge von undefinierbar ineinanderfließenden Fotografien, die von einem Soundtrack begleitet werden.

Proberaum – Raumproben

Zur gleichen Zeit spielt Gaube in einer Band. Das Tastenspiel lernte er von der Pike auf an der Heimorgel im elterlichen Wohnzimmer und später on the Rhodes mit verschiedenen Schülercombos. Seine Bandkollegen sind feine Musiker und bringen ihn schnell voran. Hammond, Rhodes und Synth weichen dem Computer, der nun Instrument, Effektmaschine und Studio wird. Als Soundtüftler der Band lernt er die unendliche Weite fernster Klangwelten kennen, die er für seine Ideen einsetzt, die aber mit der Zeit unspielbar werden. Als Proberaum benutzt er immer häufiger den Kopfhörer in seinem kleinen Studio im Schloßhof Garath. Er setzt immer seltsamer anmutende Mikrofonkonstruktionen ein, nimmt akustische Proben, wo immer er sich aufhällt, um schließlich Konstruktionen aus Feldaufnahmen, elektronischen Sounds und orchestralen Kompositionen herzustellen.

Reunificação

Anno 2009 ziehen Gaube und Hölscher mit Umbra in die Scheibenstraße der Düsseldorfer Innenstadt – in Sichtkontakt zu Kunstpalast und NRW-Forum. Möglicher Weise hat auch das zu einer Fügung während ihrer Geschäftsreise nach Lissabon geführt. Nachdem die Arbeit erledigt ist, besuchen sie die Ausstellung des Lissaboner Bildhauers Rui Chafes im Museu Calouste Gulbenkian und sind überwältigt, nebenbei auch davon, dass sie ihre mitgeführten Kameras und Mikrofone frei einsetzen dürfen. Ein kurzer Test im Koffer-Studio auf dem Hotelzimmer zeigt, dass Liquid Images und Soundcollagen sich prima vertragen. Angefixt duchstreifen sie die Stadt und finden zwei weitere Locations, die Quell  für die »Lisbon Trilogy« werden, ihrem ersten gemeinsamen Werk in der freien Kunst nach Jahren. Wieder in Düsseldorf wollen sie ihr neues Konzept weiter ausbauen und mit Audio- und Videotechnik experimentieren, um es der Öffentlichkeit möglichst eindrucksvoll vorzustellen. Auf der Suche nach einem dafür geeigneten Ort entdeckt Hölscher die Reuschenberger Mühle, gelegen auf einem ehemaligen Rittergut in Leverkusen. Sie wird ihr neues Atelier und ideale Wirkungsstädte ihrer Zusammenarbeit.

Reset – komplett

Das neue Düsseldorfer Büro beschert den beiden neue interessante Kunden. Die Arbeit für einen besonders neuen und interessanten droht zu scheitern, als Umbras bewährter Texter plötzlich ab- und bis heute nicht wieder auftaucht. Und es ist sicher kein Zufall, dass die Dortmunder Journalistin und PR-Spezialistin Dorothee Pilavas zur Stelle ist. Sie bleibt. Der Auftrag für Konzept und Realisation der Website eines Kölner Tonstudios führt sie gemeinsam in die Welt der Musik, in der Pilavas als Holzbläserin schon längst zu Hause ist, wie sich herausstellt. Der anschließende Besuch im Kölner Loft ruft den Traum von einer Bassklarinette wieder wach, den sie sehr bald wahr macht. Der Schritt, ihre multiplen Talente auch für die freien Projekte von Gaube und Hölscher einzusetzen, ist klein, die folgenden Aufgaben groß – für alle drei. Sie beschließen, die Grenzen zwischen Design, Kunst und Musik zu öffnen und ihre neue Arbeit einer neuen Kundschaft anzubieten. Das erste Projekt ist die Taufe: »Area Composer« sollen sie heißen und »Area Composings« werden sie schaffen.

 

Athen Guerilla Aktion

Leuchtturm

Pilavas erdenkt eine Exkursion nach Athen und organisiert die ehemalige Wohnung eines pensionierten Fregattenkapitäns im Herzen der Stadt als Stützpunkt. Hier sammeln die Area Composer nicht nur jede Menge Material für kommende Projekte, sondern auch viele neue Eindrücke von- und miteinander. Zurück in Düsseldorf wartet die bislang größte Aufgabe, die Umsetzung des Area Composings über den Mariendom zu Neviges (Entwurf des Architekten Gottfried Böhm, im Stil des Brutalismus). Das Ziel der Area Composer ist erreicht, wenn das fertige Werk an seinen Ursprung zurückkehrt, sprich: dort aufgeführt wird. Pilavas nimmt Kontakt zum Franziskanerorden auf, dessen Brüder die Pilgerkirche beleben und verwalten. Ihrem Geschick und Fingerspitzengefühl ist es zu verdanken, dass die Area Composer eine Gelegenheit erhalten, ihr Werk vor der Bruderschaft zu präsentieren. Die Vorführung ist ein Erfolg. Die Ordensbrüder selbst schlagen vor, das Area Composing zu einem Höhepunkt des im Folgejahr stattfindenden 50-jährigen Jubiläums des Doms zu machen. Unter dem Titel »PHARUS« wird das vierteilige Werk am 8., 10. und 11. November im Mariendom uraufgeführt. Die 20 Meter hohe und 36 Meter weite Projektion wird exakt an den kristallinen Baukörper des Doms angepasst (Videomapping), der gewaltige Kirchenraum von Surroundsound ausgefüllt sein, begleitet von einer Licht-Dramaturgie Uta von Schencks aus Göttingen.

Per aspera

Wie es weitergeht, steht noch in den Sternen, wird sich aber zu gegebener Zeit an dieser Stelle materialisieren.

 

Düsseldorf, den 2. Januar 2018